Marc Pfertzel: Präzisionsarbeit
Auch wenn er beim Heimspiel gegen den FC Bayern München wegen einer Notbremse – „Ich wollte mich für die Mannschaft opfern!“ – eine Rote Karte sah, Marc Pfertzel hat großen Anteil an dem guten Rückrundenstart des VfL Bochum 1848. Um dem Franzosen persönlich etwas näher zu kommen, haben wir mit ihm eine Bochumer Schreinerei besucht.
Schon beim Betreten der Werkstätten Dickerhoff steigt er einem direkt in die Nase: der intensive Geruch von frischem Holz. Eine Kreissäge rotiert, überall liegen Späne. Marc Pfertzel scheint in seinem Element zu sein. Der 27-Jährige steuert sofort auf einen Stapel Holzbretter zu. Ein prüfender Blick hier, ein Kommentar da. Fachmännisch streicht er mit den Fingerkuppen über die Kante. Ob er sagen könne, was für ein Holz das ist,
will Geschäftsführer Bernward Dickerhoff wissen. Pfertzel schüttelt den Kopf. „Mir würdewahrscheinlich nur der französische Name einfallen. Und außerdem ist das Ganze doch schon so lange her.“
Mit „das Ganze“ meint der Franzose seine Ausbildung zum Tischler. Als Teenager erlernte er Ende der 90er zwei Jahre lang diesen Beruf und schloss die Zeit „mit einem Diplom ab“. Im Rahmen der Abschlussprüfung musste er ein Möbelstück entwerfen und anfertigen. „Ich habe ein CD-Regal gemacht. Noch heute steht es bei meinen Eltern zu Hause, und sie sind stolz darauf.“ Dass dieses Produkt französischer Handwerkskunst bei den Pfertzels steht, ist zu einem großen Teil den Eltern zu verdanken.
Der Sohnemann erinnert sich. Mit 16 Jahren heuerte der kleine Marc beim FC Basel an. Ein vielversprechendes Talent, das jedoch nach kurzer Zeit eine schwere Verletzung im Leistenbereich erlitt. „Schuld daran waren die vielen Aschenplätze in und um Mulhouse, auf denen ich in meiner Jugend gespielt habe. Das viele Grätschen war Gift für mich.“ Die Ärzte waren skeptisch, ob er jemals wieder professionell Fußball spielen könne, die Eltern hatten Angst. „Damit sie wieder ruhig schlafen konnten, habe ich eine Ausbildung als Tischler begonnen: „Die Arbeit mit Holz hat mir viel Spaß gemacht.“
Der Vater von Marcs Schwägerin nahm ihn in seiner Werkstatt auf. „Dort habe ich mich von der ersten Minute an wohl gefühlt. Die Arbeit mit Holz hat mir viel Spaß gemacht.“ Und es gibt durchaus Parallelen zwischen dem Aufgabenfeld eines Tischlers und eines Abwehrspielers. „Beide müssen sehr präzise arbeiten. Auch die Konzentration sollte stets hoch sein. Wenn dir ein Angreifer entwischt, wird es sofort gefährlich. Und an den Maschinen kann eine Unachtsamkeit ebenfalls schmerzhafte Folgen haben.“ Der größte Unterschied: Während seine Teamkollegen in Basel noch selig in den Kissen schlummerten, war Marc Pfertzel meist schon auf dem Weg zur Arbeit. „In der Regel ging es um sieben Uhr los. Da konnte ein Tag mit Training sehr lang werden.“ Gestört hat es ihn wenig. Selbst als er nach acht Monaten wieder völlig gesund war, dachte er nicht ans Aufhören. Er zog die Ausbildung durch. „Das hat mir gut getan. Das Leben besteht nicht nur aus Fußball. Ich bin froh, dass ich diese Erfahrungen gemacht habe.“ Zumal auch danach seine Karriere nicht stromlinienförmig verlief. Basels Cheftrainer Christian Gross legte keinen großen Wert auf den Defensivallrounder, so dass für Marc Pfertzel eine Odyssee durch Frankreich begann.
Nach den Stationen FC Sochaux und ES Troyes AC landete er beim Drittligisten FC Sète. „Eine wunderschöne Stadt direkt am Mittelmeer. Ich kann mir gut vorstellen, mich nach meiner Fußball-Karriere dort niederzulassen.“ Neben dem persönlichen fand der Sohn eines ehemaligen Profifußballers dort auch sein sportliches Glück. Als Rechtsverteidiger erzielte er sieben Tore, spielte eine bärenstarke Saison und wurde zum besten Defensivmann der Liga gewählt. „Ein echter Karrieresprung für mich.“ Der italienische Zweitligist AS Livorno wurde auf ihn aufmerksam. 2003 wechselte er in die Toskana. Unter Trainer Roberto Donadoni stieg die Mannschaft gleich im ersten Jahr auf. Und der Spielplan hatte für Livorno gleich zu Beginn einen Knaller parat: den AC Mailand. Doch statt in Ehrfurcht zu erstarren, traten Pfertzel und Co. gegen die Superstars um Shevchenko, Maldini und Kaka frech auf und kamen zu einem 2:2. „Auch diese Jungs haben doch zwei Beine und zwei Arme. Natürlich habe ich Respekt vor guten Fußballern, aber eben keine Angst. Vielmehr mag
ich es, gegen große Teams zu spielen.“ Also ist die Freude groß, dass am heutigen Samstag der FC Bayern München im rewirpowerSTADION zu Gast ist? „Auf jeden Fall“, so Pfertzel, der seit 2007 für den VfL kickt.
„Gegen Luca Toni habe ich einige Jahre gespielt. Und auch Franck Ribery kenne ich schon lange. Wir sind damals in der dritten französischen Liga aufeinander getroffen. Er hat eine super Karriere hingelegt, die ich ihm gönne. Franck ist nicht nur ein großerSpieler, sondern auch ein super Mensch.“ Gleiches gilt für Marc Pfertzel, der beim VfL eine große Wertschätzung genießt. Er sei auf und neben dem Platz ein positiver Typ“, sagt beispielsweise Cheftrainer Marcel Koller, der nach dem Ausfall von Anthar Yahia und Marcel Maltritz den Franzosen in die Innenverteidigung berief.
„Das Vertrauen war von Anfang an da. Wir wissen, was er kann“, betont der Schweizer. „Aber wie erhaben er die Position ausfüllt, war dann doch eine Überraschung.“ Vor allem lobt Koller das gute Auge seines gelernten Außenverteidigers.„Er antizipiert hervorragend. Wenn der Gegner einen Fehler macht, dann geht er dazwischen. Sonst bleibt er weg. Das ist sehr clever.“ Ein Überbleibsel der ausgeprägten Taktik-Schulung in Italien? Pfertzel schüttelt den Kopf: „Das habe ich schon immer gemacht. Wenn ich so eine Situation erkenne, dann bin ich da.“ Worauf achtet man? Die Füße des Gegenspielers? Analysiert er den Bewegungsablauf seiner Gegenspieler? „Nein, nein“, kichert der Franzose. „Das ist eine Kombination aus Erfahrung und Gefühl. Du darfst auf dem Platz nicht zu viel denken. Sonst bekommst du Kopfschmerzen.“ Ein typischer Pfertzel. Selbstzweifel sind ihm fremd. „Ich kenne das Wort gar nicht.“ Daran sind jedoch weniger seine Deutschkenntnisse schuld, die schon seit langem eine fließende Konversation zulassen.
Vielmehr ist es die Einstellung: „Ich denke immer nur positiv.“ Aus diesem Grund war es für ihn auch keine Frage, die Verantwortung beim Elfmeter gegen Cottbus zu übernehmen. „In der Situation habe ich nur an das Tor gedacht.“ An ein Scheitern habe er keinen Gedanken verschwendet. Aus dem verkannten Talent des FC Basel ist ein überdurchschnittlicher Bundesligaprofi geworden: eine Geschichte, die dem Ex- Trainer Respekt einflößt. Als im Januar 2008 unser VfL im Rahmen des Trainingslagers auf den FC Basel traf, kam nach dem 2:2 FCB-Coach Christian Gross auf den ehemaligen Schützling zu. „Er hat mir zu meiner Entwicklung gratuliert. Das hat mir sehr gut getan.“
(Quelle: vflbochum.de)